Sprechender Trommler

Andere Solisten kommen mit einem Geigenkasten oder Flötenetui zum Konzert. Martin Grubinger braucht einen LKW, um alle seine Instrumente zu transportieren. In Innsbruck werden es ca. 60 sein, wenn Österreichs Schlagzeugstar beim Meisterkonzert im März Konzerte von Oscar-Gewinner Tan Dun und Goldener-Löwe-Preisträger Peter Eötvös spielen wird. Grubingers Musikerleben besteht aus enormen logistischen, kreativen und schlagtechnischen Herausforderungen.
Für Multiperkussionisten sind Konzertprojekte oft auch eine Materialschlacht. „Bis ich mein Schlagzeug aufgebaut habe, hat meine Frau schon drei Stunden Klavier geübt“, ist Martin Grubinger „ein bisschen neidisch“ auf seine Partnerin, die Pianistin Ferzan Önder. „Logistik beschäftigt uns Schlagzeuger dauerhaft“, sagt der vielseitige und vielbeschäftigte Musiker, der stets auch Aufbauhelfer an seiner Seite hat. Sie sind in den Nächten und Vormittagen zwischen den Konzerten mit den Instrumenten schon wieder unterwegs zu den nächsten Tourneestationen.
In Übersee muss Grubinger oft mit Instrumentarium vor Ort Vorlieb nehmen, weil der Transport über den Ozean zu aufwändig wäre. Aber in Europa ist er am liebsten mit seinen eigenen Instrumenten unterwegs. Ungefähr 600 befinden sich in seinem Besitz: Trommeln, Pauken, Gongs, Becken, Hi-Hat, Xylophone, Marimbaphone, Vibraphone, Steine, Rasseln und viele mehr. Dazu Hunderte von Schlägeln.
„Ich habe mit Geigern oder Cellisten gesprochen, um zu verstehen, warum sie eine so intensive Beziehung zu ihren Instrumenten aufbauen“, so Grubinger – und er fand eine einfache Antwort: Alle, ob Streicher oder Bläser, haben ihre Instrumente immer dabei. „Deshalb möchte ich, wenn es nur irgendwie möglich ist, auf meinen eigenen Instrumenten spielen. Die kenne ich am besten und weiß genau, wie ich mit ihnen umzugehen habe.“ In Innsbruck wird alles Instrumentarium aus dem Schlagzeughaushalt Grubinger sein. Auch die Pauken. Denn diesbezüglich ist der musikalische Globetrotter Grubinger ein österreichischer Patriot: Er schwört auf die Wiener Pauken, so wie Musikerkollegen auf die Wiener Oboe oder das Wiener Horn. „Bei den Wiener Pauken haben sich bis heute die Bespannung mit Ziegenfell und das Stimmsystem mit Wirbeln gehalten. Ihr Kessel hat noch eine Glockenform. Sie klingen natürlicher und nobler, sie ,wummern’ nicht so durch den Saal.“
Gerade bei einem Werk wie Tan Duns „The Tears of Nature“, das Grubinger in Innsbruck spielen wird, sind originale Wiener Pauken von unschätzbarem Vorteil. Der im US-amerikanischen Exil lebende Chinese, der für seine Filmmusik zu „Tiger and Dragon“ im Jahr 2000 einen Oscar erhielt, verlangt, auf der Pauke nicht nur traditionell mit Schlägeln zu musizieren. Vielmehr muss man auch „auf dem Fell wischen, die Pauke streichen und mit Fingernägeln spielen“, so Grubinger. „Auf dem Plastikfell der modernen Pauken funktioniert das nicht.“
Idealer Wiener Originalklang also für ein Werk, in dem Tan Dun drei tragischen Ereignissen der jüngsten Menschheits- und Erdgeschichte musikalische Entsprechungen widmet. Im ersten Satz gemahnen japanische Taikotrommeln und Becken, die von Grubinger und mehreren Orchesterschlagzeugern gemeinsam gespielt werden, an die 2011 durch ein Erdbeben ausgelöste Nuklearkatastrophe von Fukushima. Den zweiten Satz, der an das Erdbeben und den Tsunami 2004 im Indischen Ozean erinnert, baut Tan Dun auf einem chinesischen Volkslied auf. Im dritten Satz schließlich geht es, so Grubinger, um „9/11“ in Tan Duns Wahlheimat New York 2001: In der Musik klingen amerikanische Bigband-Grooves mit. Schon ganz am Anfang des Werkes werden auch Steine aufeinander geschlagen, deren Tonhöhe sich verändert, „je nachdem, wie man die Hand formt“, so Grubinger. „Ich kann damit zwei Oktaven spielen.“
Gibt es überhaupt Unspielbares für den Multiperkussionisten Grubinger, der Instrumente und Musiktraditionen von allen fünf Kontinenten der Erde beherrscht? „Es kommt vor, wenn ich die Partitur eines neuen Werkes erhalte, dass ich mir denke, das kann ich nicht spielen. Aber wenn ich dann darauf einsteige und wirklich hart arbeite, schaffe ich es auch.“ Wobei es dem Musiker besonders wichtig erscheint, „dass der Komponist glücklich damit ist, wie ich es spiele.“ Insofern sträubt sich Grubinger vehement gegen den mitunter etwas lockeren Zugang, der in der zeitgenössischen Musik von Musikern gegenüber dem vorgeschriebenen Notentext herrsche. Die Texttreue, auf die bei Musik aus früheren Epochen so großer Wert gelegt werde, sei auch in den Werken der Gegenwartsmusik entscheidend notwendig: „Wir wollen die Idee von jedem Werk ganz im Sinne der Komponisten umsetzen. Da darf man nichts dazu dichten oder weglassen.“
Grubingers Sorgfalt, Genauigkeit und Verantwortungsbewusstsein wird ebenso geschätzt wie seine überragende Spieltechnik und leidenschaftliche Musizierweise. Viele herausragende Komponisten haben für den jungen österreichischen Musiker, der heute als der führende Perkussionist der westlichen Musiktradition gilt, Werke komponiert. So auch der bedeutende ungarische Komponist und Dirigent Peter Eötvös, der selbst ein ausgebildeter Schlagzeuger ist.
Mit seinem Werk „Speaking Drums“ hat sich Eötvös (bei der Kunstbiennale Venedig mit einen Goldenen Löwen ausgezeichnet) etwas ganz Besonderes für Grubinger überlegt. Tatsächlich soll der Schlagzeuger die Trommeln zum Sprechen bringen, indem er mit lautstarken Nonsens-Texten des ungarischen Autors Sándor Weörös und mit Sanskrit-Texten aus Indien über die Liebe und die Schönheit der Natur in einen Dialog mit den Schlagzeuginstrumenten tritt. Grubinger: „Ich spreche zum Beispiel das Wort ,panyigai’ und spiele dann Sechzehntelnoten auf der Trommel, oder ich spiele eine Triole nach dem Wort ,kudora’, zwei Achtelnoten nach ,kotta’ und eine halbe Note nach ,üüü’. Die Trommel antwortet mir immer. Ich spreche, schreie, wispere und hauche – immer in Kommunikation mit dem jeweiligen Schlaginstrument. Das hat auch etwas Theatralisches. Ich inszeniere das, manchmal auch gemeinsam mit einigen Orchestermusikern. Sie kommen am Podium nach vorne zu mir und ich spiele mit ihnen Kadenzen.“
Eötvös gehe, so Grubinger, auch ganz genau auf die Sprachmelodie von Sanskrit ein: Die Sprache und der Inhalt der Texte mische sich wunderbar mit dem Klang der Triangel, des Hi-Hat und des Marimbaphons. „Wenn das Adrenalin steigt und man sich richtig wohlfühlt mit der Musik und der Sprache, man in diesem Werk aufgeht, dann zeigt es auch beim Publikum Wirkung“, hat Grubinger intensive Erfahrungen mit „Speaking Drums“ bei bisherigen Aufführungen gesammelt.
Mehrmals spricht und spielt Grubinger gleichzeitig in verschiedenen Rhythmen. „Das war am Anfang eine große Herausforderung. Aber wenn wir Schlagzeuger üben, dann verbalisieren wir uns oft ohnedies die Rhythmen aus – und in diesem Fall ist der Vorgang Teil der Komposition und ich kann es auch live im Konzert machen“, sagt der Musiker, der mit den Trommeln spricht – oder sie zum Singen bringt. „Tan Dun schreibt in seinem Konzert die Tonhöhe der einzelnen Trommeln vor.“ Grubinger beherrscht es in Vollendung, die vielen einzelnen Schläge bei höchster Geschwindigkeit in einen fließenden Strom umzuwandeln – da bekommen dann auch Trommeln ihre Melodien.
Das Gespräch führte Rainer Lepuschitz.